Brief von Pater Niklaus Pfluger an Bischof Williamson (German original text)
27. Dezember 2010
Exzellenz,
lieber Bischof Williamson,
schon seit Monaten beabsichtige ich, Ihnen zu schreiben, sozusagen um das Unbegreifliche und auch Falsche in Ihren Äusserungen und Texten der letzten Jahre auf den Punkt zu bringen. Ich habe es sein lassen, da sie nie auf Argumente eingegangen sind und sichtlich persönlich verletzt sind – für einen frei denkenden Menschen eher ungewöhnlich. Aber nachdem ich in Ihrem jüngsten „Eleison-Kommentar“ lesen musste, „World War III may not be far off“, setze ich es nun in die Tat um, ehe die Zeit knapp wird; man weiss ja nie, wann es das letzte Mal ist.
Mir fielen bei dieser Propheterie wieder die Tischansprachen bei den Bischofsweihen von 1988 ein. Nach dem Hauptgang hielten alle vier neu geweihten Bischöfe eine kurze Ansprache; Bischof Tissier wie gewohnt sehr theologisch, dogmatisch, Bischof de Gallaretta diskret, kurz, Bischof Fellay pastoral und ausgewogen. Bei Ihnen ging es hauptsächlich um den Krieg, vielleicht dachten Sie damals schon an den III. Weltkrieg, und Sie riefen in die Runde: „C’est la Guerre! C’est la Guerre!“. Damals waren es übrigens noch die Russen, die angreifen sollten. Es wäre einmal eine Aufgabe zu zählen, wie oft Sie in den letzten 22 Jahren den III. Weltkrieg und das grosse Chatiment mit genauen Daten vorhergesagt haben. Das Dutzend ist sicher voll. Und warum Sie sich immer noch nicht die Frage stellen, ob Ihre Vorhersagen wirklich objektiver Analyse oder nicht doch subjektiver Utopie entspringen.
Sie stellen sich diese Fragen nicht, ich weiß es, leider. Sie fragen sich nicht, weshalb ich, weshalb Menzingen, weshalb fast die ganze Bruderschaft und die Welt ohnehin mittlerweile nur noch den Kopf schüttelt und ganz einfach enttäuscht ist. (Ich hänge Ihnen Auszüge aus zwei Mails an, die erste stammt von einem Ihrer ehemaligen Schüler, die zweite von einem deutschen Bürgermeister.) Für Sie ist es klar: Schuld sind immer die anderen. Die Anderen haben keine Ahnung, die Anderen sehen die Realität nicht, die Anderen sind Agenten, von wem auch immer, Freimaurer, Mossad, CIA, neuderings und ganz vehement „die Juden“ – die Liste ist lang. Kurz: Wer anderer Meinung ist als Sie ist entweder dumm oder böse oder beides. Haben Sie sich bei einem derjenigen Menschen, die Ihre ständigen Kriegswarnungen und kruden Theorien über Politik und Ökonomie zurückgewiesen haben und Sie dafür kritisierten – es gab ja viele solcher (auch verletzter) Menschen – eigentlich je entschuldigt? Bei einem einzigen? Konnten Sie jemals öffentlich sagen: „Ich habe mich getäuscht?“
Eigentlich ist das ein ausgesprochen semitisches Denken. Die eigenen Fehler legt man auf den Sündenbock; dieser ist an allem Schuld. Das machte schon Hitler so. Die eigene Niederlage des 9. November 1918 produzierte den Hass auf das internationale Judentum – dieses war Schuld an allem Übel im deutschen Reich und musste darum „mit stets offenem Visier gnadenlos bekämpft“ werden.
Man kann dieses Problem an dem letzten „Eleison-Kommentar“ an einer anderen Stelle betrachten. Sie schreiben darin: „Doch diese Derivate wirken wie Massenvernichtungswaffen auf die empfindlichen Mechanismen der Weltfinanz, weil sie allzu leicht eine unwirkliche Welt von kolossalen und unbezahlbaren Schulden fabrizieren“. Dazu hat irgendein schlauer Mensch geschrieben: „Angeber – ‚empfindlichen Mechanismen der Weltfinanz‘ – als wenn Bischof W. bei den Mechanismen der Weltfinanz durchblickt und die empfindlichen Stellen zeigen könnte“. Sie können es nicht. Genauso wenig wie Sie bei hochkomplexen politischen Zusammenhängen oder dem Massenmord der nαzιs an den Juden durchblicken. Sie haben eine Meinung, und dann suchen Sie sich einige zusammenhanglose Details, die irgendwie zu dieser Meinung passen (z. B. „Leuchterreport“), und verkaufen das als „Wahrheit“.
Am 11. September 2001 begannen Sie Ihre Firmreise in der Schweiz. Am Abend des Tages, an dem islamische Terroristen mit entführten Flugzeugen in die Twin Towers des New Yorker World Trade Centers gerast waren und die Türme deshalb zusammenbrachen, kamen wir gegen 18 h 00 in Littau an und Bruder Anton zeigte Ihnen die noch im Bau befindliche neue Prioratskirche. Er erzählte auch etwas von zwei Türmen in NewYork und 50‘000 Toten. Sie baten mich die Nachrichten zu hören. Um 18 h 30 begann die Zeremonie und Sie erklärten, das seien „die Juden“ gewesen. Wie konnten Sie das so schnell wissen? Sie konnten es nicht. Sie hatten keine Informationen, die irgendwie darauf schließen ließen. Viele Gläubige waren enttäuscht, dass sie kein geistliches Wort sprachen, einige waren beeindruckt, wie schnell sie die Lösung zu haben schienen. Spätestens von diesen Tagen an war mir und anderen Mitbrüdern klar, dass Sie im Grunde nicht nach der historischen Wahrheit suchen, sondern dass für Sie wahr ist, was Sie sich wünschen. Sie haben, so habe ich es letztes Jahr formuliert, ein idealistisches Geschichtsbild. Und an einem Prioratstisch habe ich gesagt, Sie seien ein Idealist. Das hat sie, wie wir berichtet wurde, sehr verletzt. Aber eigentlich ist das nicht ganz treffend. Es ist mehr: Es ist die Karikatur eines Idealisten.
Es gibt ein berühmt-berüchtigtes Zitat von Ihnen über die sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion: „God put truth in mens hand“. Sie haben damit diese „Protokolle“ zu einer Göttlichen Offenbarung erhoben. Das ist wohl auch unvermeidlich, wenn man an sie glauben will. Denn bereits die Regierung des russischen Zaren hatte zugegeben, dass es sich um ein Produkt ihres eigenen Geheimdienstes gehandelt hat, und alle weiteren Untersuchungen haben das unzweideutig bestätigt. Haben Sie eine dieser Untersuchungen gelesen, vielleicht die Protokolle des Berner Prozesses von 1934? Nein, natürlich nicht. Aber Sie sind sicher, dass die Protokolle echt sind. Warum? Weil Sie es wollen.
Bei der Judenvernichtung der nαzιs ist es nicht anders. Haben Sie das Buch von Pressac gelesen, das wir Ihnen schicken ließen? Natürlich nicht. Haben Sie das Standardwerk gelesen, „Die Vernichtung der Europäischen Juden“ von Hilberg? Auch nicht. RA Krah hatte Ihnen angeraten, wenigstens einmal David Irving zu befragen, immerhin ein anerkannter Archivkenner und bis vor kurzem Ihr Mentor, wie denn die Faktenlage sei. Sie wollten ihn nicht hören. Das kann nicht verwundern, bestreitet doch Irving mittlerweile nicht den Massenmord an Millionen unschuldigen Juden, auch unter Einsatz von Gas. Er vertritt anderweitig abstruse Thesen, das am Rande, aber er ist nicht so blind, das Augenfällige in Abrede zu stellen. Wieso auch die Geschichte studieren? Sie wissen alles ohne Studium, weil Sie ihre Idee der Realität aufdrücken. Idealismus eben.
Es darf keinen industriellen Massenmord an den Millionen Juden gegeben haben, weil Sie das nicht wollen. Weil es nicht in Ihr Weltbild passt. Also ist jedes Dokument, was das beweist, eine Fälschung, und ist jeder Zeuge, der es bestätigt, und seien es die SS-Täter selbst, gekauft, und ist jeder Wissenschaftler, der es untersucht, ein Lügner. Genauso ist man ja auch kein Katholik, wenn man nicht an Ihre Theorien zu 9/11 glaubt. Auch das haben Sie geschrieben, ja es ist für Sie die Gretchenfrage: „Glauben Sie an die Zwei Türme“, haben Sie Ihren Obern gefragt!
Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese harten Worte nicht ersparen kann. Ich hätte lieber freundlich und unverbindlich diesen Brief begonnen. Mich nach dem Gesundheitszustand erkundigt und dem Wetter in London; in Paris muss es sehr übel sein, denn wir warten in Seoul schon seit über fünf Stunden auf den Abflug, und so schreibe ich diesen Brief in einer Boeing 777. Ich würde lieber über Weihnachtsbräuche in Asien schreiben und die wunderbaren Menschen, die ich ganz besonders dort treffen durfte. Oder dankend darüber schreiben, dass Sie bereits 1978 als erster Priester der Bruderschaft Japan besucht haben. Damals übrigens gab es für Sie nur eine wichtige Sache, die Predigt über Jesus Christus, den gekreuzigten; nur eine einzige Frage, die Wahrheit, die Christus selbst ist. Mittlerweile gibt es zwei ganz andere Fagen für Sie, wie Sie vor kurzem einem unserer Priester gechrieben haben. „Sind sechs Millionen Juden vergast worden, ja oder nein?“ Bei allem Respekt vor Ihrer geistlichen Würde, aber diese Frage ist keine „objektive Frage“, das nicht einmal eine Frage, das ist purer Unsinn. Nennen Sie mir einen seriösen Historiker, nennen Sie mir einen Menschen, der heute noch behauptet, es seinen sechs Millionen vergast worden. Nicht einfach ermordet. Vergast. Den finden Sie nicht, ich habe den Eindruck, Sie sind der einzige, der meint, man müsse das glauben. In der Psychologie nennt man das fixe Idee. Und die andere Frage beantworten Sie ungenügend und falsch. Natürlich hat jede historische Frage immer auch eine religiöse Dimension. Das bestreitet ja auch niemand. Aber unser Gründer hat ganz klar die Optik angegeben, wie Geschichte, Politik, Polis etc. zu beurteilen sind: das ist Jesus Christus selbst, das soziale Königtum Christi. Punkt. Und nicht irgendwelche stupiden, ideologischen oder idealistischen Theorien. Wie gesagt, unter normalen Umständen nähme dieser Brief nicht diesen Ton und nicht diese Themen an. Aber 2010 war kein Jahr, das zu solch einem Anfang einlädt. Leider.
Ich habe oft und im Austausch mit verschiedenen Menschen – Mitbrüdern, Priestern, Verwandten, Freunden, Außenstehenden – versucht, Sie zu verstehen. Es tut mir bitter weh zu sehen, wie Sie sich verrennen, wie Sie sich in den abstrusesten Theorien verheddern und die dann auch noch zur göttlichen Wahrheit erklären. Wenn mir eine gute Fee drei Wünsche gewähren würde, wäre einer davon sicher, dass Sie die Kraft dazu finden mögen, die Realität zu erkennen. Aber es gibt keine Feen, und mir fällt stattdessen ein Zitat aus meinem Griechischunterricht ein: Wen die Götter vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit.
Exzellenz, erlauben Sie mir eine familiäre Reminiszenz. Sie wissen ja sehr wohl wie fest meine Familie Sie geschätzt hat – und wie gerne Sie in unserem Hause waren. Es war in meinem Elternhaus, in den späten 70er Jahren, Sie waren jung Priester und übernachteten bei uns, weil Sie in der Klus die Messe lasen. Sie diskutierten mit meinem Vater, Mutter war auch dabei. Meine Mutter, Sie erinnern sich sicher, war eine stille, zurückhaltende, sehr tiefe Frau. Sie war der ruhige Gegenpol zum Vater. An diesem Abend wurde leidenschaftlich diskutiert, zwischen Ihnen und meinem Vater. Unsere Mutter, die den ganzen Abend geschwiegen hatte, sagte plötzlich und unerwartet in ihrer ruhigen und fast scheuen Art: „Herr Pater, aber Ihre Mutter war doch auch eine Frau“. Da war die Diskussion vorbei.
Ihre Frauenverachtung, Ihr Judenhass, Ihre Maßlosigkeit – es war immer da. Wir haben es nur nicht gemerkt. Wir waren zu sehr beschäftigt, den Glauben zu verteidigen, die Messe zu retten, die Auseinandersetzung mit den Modernisten in der Kirche zu führen, als dass wir diese abstoßenden Seiten an Ihnen bemerkt hätten. Sie waren der englische Gentleman, exzentrisch sicher, aber eben gebildet, unkonventionell, mitreißend. Natürlich, es wuchsen die Zweifel. Wie oft sind Sie reingefallen, haben sich von seltsamen Menschen und Ideen beeinflussen lassen (wenn ich nur an Urutigoity denke oder an die „Überwindung der tridentinischen Priesterseminare“). Aber wir haben diese Zweifel beiseite geschoben. Es war eher ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber eben keine bewusste Erkenntnis. Wir haben erst 2009 angefangen, nachzudenken und nachzuprüfen. Und erkennen einen Abgrund. Trotzdem, so ganz entschuldbar sind wir nicht. Vor einigen Monaten sagte mir ein Oberer, der gar nicht viel jünger ist als Sie: „Die verrückten Ideen von Mgr Williamson, die waren doch bekannt, und man hat darum gewusst.“
Lange vor 2009 sagte mir ein Freund, wenn er Ihre Texte lese, dann frage er sich immer, ob es wünschenswert sei, dass Sie jemals Macht und Einfluss gewännen, und diese Frage beantworte er mit Nein. Mehr, würden Sie je Macht und Einfluss gewinnen, würde er, einer unserer aktiven Gläubigen, einer christlichen Widerstandsgruppe beitreten. Das sind diese Zweifel gewesen, dieses Unbehagen.
Der Papst hat sich in seinem neuesten Buch ausführlich über Sie geäußert. Er sagt, bei Ihnen merke man, dass Ihnen die Erfahrung der Großkirche fehle. Sie seien direkt vom Protestantismus – wohl eher vom Taufscheinprotestantismus – in die kleine Gemeinschaft der Bruderschaft gegangen. Natürlich, wir waren entsetzt und entrüstet. Pater Gaudron hat das in einer offiziellen Stellungnahme kritisiert und darauf hingewiesen, dass Sie ja in der Amtskirche konvertiert sind. Vielleicht wollte der Papst aber auf etwas anderes hinweisen. Die Zeit Ihrer Konversion war ja eine während der nachkonziliaren Wirren, als das Alte nichts mehr galt und der Niedergang sichtbar wurde. Heimat fand man damals nicht. Und deshalb vielleicht fehlt Ihnen dieses ganz tiefe Gefühl katholisch zu sein. Denn wie sonst soll man Ihre Lust an der Provokation erklären, die auch vor dem Heiligen nicht halt macht? Ist das nur Provokation? Was würde der Papst sagen wenn er wüsste, wie permanent Sie sich weigern, von der Tugend der Liebe zu sprechen? Immerhin ist „Gott die Liebe“ und wir lesen heute im Hieronymuskommentar zum Fest der hl. Johannes, dass dieser am Ende seines hochbetagten Lebens seine Jünger nur noch zur Liebe ermahnt habe. Und Sie sagen zu einem Obern, der Sie darum bittet, in Priesterexerzitien doch nicht nur von Politik und den Gaskammern und den Twin Towers zu sprechen: „Liebe – ich verachte dieses Wort!“ Und was würde der Papst erst recht sagen, wenn er hörte, dass Sie auf Anordnungen des Generalobern mit „Merde, Merde, Merde“ antworten? Bei allem Sinn für Sarkasmus, so ganz katholisch ist das nicht. Echt katholisch, da spürt man die Weite des Denkens, die Liebe zur Kirche, bajuwarische Liberalität, wenn Sie wollen, aber nicht verletzende Verleumdung Andersdenkender, wie Sie das nun durch Ihre Freunde im Internet tun. Wer nicht Ihr Geschichtsverständnis hat, der ist ein „Jude“. Und wer mit jüdischen Kollegen Wein trinkt, handelt jüdisch und unterminiert die Bruderschaft. So weit gingen nicht mal die nαzιs. Sie hatten mir vor zwei Jahren gesagt, dass Sie als Regens von Winona einen Rabbiner eingeladen hatten. Sind Sie deswegen auch Jude?
Eine der ersten, fundamentalen Abrechnungen mit dem Konzil stammt von dem Psychoanalytiker Alfred Lorenzer, „Das Konzil der Buchhalter“. (Das Buch lag jahrelang auf den Schriftenständen unserer Kapellen in Deutschland.) Psychoanalyse ist ja so eine Sache, aber Lorenzer beschreibt sehr schön, was Religion, Katholizismus allzumal, für den Menschen ist. Es ist etwas, was man noch vor der Sprache, dem Rational-Bewussten, aufnimmt. Er nennt es ein „Symbolsystem“. Es hat etwas zu tun mit Liturgie, mit Gesang, mit Gewissheit. Es ist da, vor und nach allem Bewussten. Man ist einfach katholisch. Egal, was der Papst sagt, egal, was kommt, man ist katholisch. Die unmöglichsten Leute entdecken es immer wieder an sich. Und sind dann plötzlich stolz darauf. Die beiden SPIEGEL-Reporter, die Sie als Ratten bezeichnet haben und deren Reportage für die Bruderschaft übrigens sehr hilfreich war, waren ein Beispiel dafür. Der ältere, Wensierski, ist Katholik. Einer, der alle Irrungen und Wirrungen der letzten 40 Jahre mitgemacht hat. Der üble Kirchenkritiken geschrieben hat, der aber auch als Reporter aus dem kommunistischen Ostdeutschland herausgeworfen wurde, weil er die Widerstandsgruppen unterstützte. Ein sicher schwieriger Mann. Und auch bieder. Aber völlig von seiner Katholizität überzeugt, ergriffen in Saint-Nicolas, und immer bemüht, den jüngeren Reporter zu missionieren, der plötzlich seinen alten Kollegen nicht mehr verstand. Einfach katholisch sein, dazuzugehören zu dieser unfassbaren, menschliche Vorstellungskraft übersteigenden, immer wieder tot gesagten und immer wieder fröhlich wieder erstehenden, fantastischen, großartigen, einzigartigen Kirche, die einen immer wieder annimmt, immer verzeiht, immer großzügig ist, in der man immer wieder zuhause ist – es gibt wenig Schöneres auf dieser Welt. Und wenn ich Ihre Texte lese, wenn ich mich an verschiedene Äußerungen von Ihnen erinnere, dann befürchte ich, dass Sie dieses Glück nicht teilen. Ich glaube, das meinte ein Mitbruder, der schon viele viele Jahre Oberer in der Bruderschaft ist und Sie nach wie vor schätzt: „Herrschaftszeiten, warum traut sich denn niemand zu sagen, dass Bischof Williamson liberal ist. In seinen Äusserungen, in seinen Provokationen, in seinem unabhängigen Umgang in der Bruderschaft.“ Ja, warum?
In Ihren Kommentaren zu den Gesprächen zwischen der Bruderschaft und der Kurie gewinnt man den Eindruck, dass das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können, eine Einigung sei, katholische Normalität. Wenn ich das lese, wenn „geborene“ Katholiken das lesen, dann kann man das nicht verstehen. Nichts wünschen wir uns in unserer religiösen Existenz mehr als ungetrübt katholisch sein zu können, und unter nichts leiden wir mehr als unter der Situation, dass unser Gewissen, geschult an den Lehrverkündigungen der Jahrhunderte, uns das noch nicht möglich macht. Gerade Ihre Logik bezüglich Rom ist falsch, ein Zirkelschluss. „Weil sie Modernisten sind, können und dürfen wir nicht mit ihnen reden.“ Nun aber kommt der Glaube aus dem Hören. Also können Papst und Kurie niemals katholisch werden, da niemand mit ihnen spricht… Warum beten und missionieren wir eigentlich? Ganz abgesehen von dem revolutionären Verhalten, das Sie praktizieren. Weil Sie Bischof sind, wissen Sie, was katholisch ist, wie die Bruderschaft mit Rom umgehen muss, Generaloberer hin oder her. Das grenzt schon fast an Solipsismus. Wie gesagt, vielleicht meinte der Papst dieses enge, starre Denken. Denn erst der Bezug zur Realität macht etwas wahr, und nicht, weil man etwas für wahr halten will. Ich glaube nicht, dass man katholisch sein kann, wenn man es nicht mit allen Sinnen erfasst, was das bedeutet. Sie erfassen es ersichtlich nicht. Nochmals, Ihre Predigten wider die Liebe in Zaitzkofen (und Saint Nicolas de Chardonnet) sind legendär. Das Urteil darüber findet sich in Goethe, Faust I: „Wenn Ihr´s nicht fühlt/ Ihr werdet´s nicht erjagen“.
Unser verehrter Gründer, Erzbischof Marcel Lefebvre, hat dieses Katholischsein vollendet verkörpert. Wie konnte er an manchen Abenden über Kardinal Ratzinger schimpfen! Um am nächsten Morgen zerknirscht zuzugeben, übertrieben zu haben, und die Frömmigkeit des Kardinals zu loben. Wann haben eigentlich Sie schon einmal zugegeben, übertrieben zu haben? Die Kurie hat den Erzbischof bis an die Grenzen des Erdenklichen gedemütigt. Aber er blieb katholisch. Das wünschten wir uns von Ihnen.
Die Bruderschaft ist in einer Außenseiterposition. Das verführt dazu, anderen Außenseitern einen Sympathiebonus einzuräumen. Ich halte das für eine Falle. Wir sind zu Unrecht Außenseiter. Viele Andere, gerade solche, die sich im Internet tummeln, sind es zu Recht. Notgedrungen habe ich seit Ihrem Interview vom 1. November 2008 ausreichend Gelegenheit gehabt, mich mit h0Ɩ0cαųstleugnern, Sie nennen es „Revisionisten“, auseinanderzusetzen. Mein Gott, ist das geistig eine Armseligkeit! Eben nicht katholisch. Wenn ich an das Gerichtsdossier von Horst Mahler denke, der angeblich wegen Ihnen konvertiert hat… Das ist reiner Hegelianismus, aber ganz sicher nicht katholisch. Und dann all diese verrückten Ideen Ihrer angeblichen Freunde, Butz und Faurnisson und wie sie alle heissen. Einfach unsympathisch und unkatholisch. Neo-nαzιsmus, „Third Position“, Antisemitismus, Extremismus aller Art; man gewinnt den Eindruck, es handelt sich dabei vor allem um Vorwände dafür, keiner geregelten Arbeit nachgehen zu müssen. Im Verleumden, ich sage es nochmals, sind diese Leute schnell, es geschieht ja auch per Internet. Sie haben leider der Versuchung nicht widerstehen können, da mit zutun. Moraltheologisch ist das nach wie vor sündhaft. Einer der Verleumdeten hat das, finde ich, ganz gut auf den Punkt gebracht, was für Menschen hinter solchen Verleumdungen stehen: „uneducated, unbalanced, sɛҳuąƖ frustrated, male losers“. Die einzige Konstante im Leben solcher Menschen ist oft ihr Extremismus. Sie waren gestern harte Britische Nationalisten gegen die Nordirischen Katholiken, sind heute „Third Position“, und morgen wahrscheinlich Islamisten. Der Schulterschluss von nαzιs zu Islamisten ist auf der Teheraner h0Ɩ0cαųstleugner-Konferenz deutlich geworden, und auch Sie werden ja nicht müde, der westlichen Gemeinschaft, unserer eigenen Zivilisation, die Existenzberechtigung abzusprechen. Ich finde das alles abstoßend. Aber eigentlich nicht überraschend. Schon Hitler hatte erklärt, der Nationalsozialismus lasse sich ohne Wagner und Nietzsche nicht verstehen. Wenn dann aber so getan wird, als sei es quasi religiöse Pflicht, diesen Unsinn zu vertreten, muss ich ad majorem Dei gloriam dagegen aktiv werden. Ich kann und werde nicht zulassen, dass der Name Gottes für diesen Schwachsinn missbraucht wird. Ich habe Ihnen schon einmal geschrieben, ich bin sicher nicht Priester geworden, um den Judenhass zu predigen. Und nicht in die Bruderschaft eingetreten, um Hitler heilig zu sprechen. Ich bin entsetzt zu sehen, dass Sie Videos verbreiten, die den Massenmord Hitlers rechtfertigen. Und jetzt wollen Sie auch noch Ihre Ehre verteidigen! Welche „Ehre“ denn! Die historische Wahrheit mit Füssen zu treten? Bitte, Exzellenz, verteidigen Sie die Ehre der Bruderschaft, die Ehre unseres Herrn!
Ich bekenne, dass wir in der Vergangenheit zu nachlässig in dieser Beziehung gewesen sind. Wir haben geschwiegen, wo wir hätten widersprechen müssen, wir haben weggeschaut, wir haben falsche Toleranz geübt. Wir hätten auch Ihnen viel eher widersprechen müssen. Vielleicht hätten wir Sie damit an einem Punkt zum Nachdenken gebracht, an dem Sie noch hätten umkehren können. Die Situation mit den angeblichen Exkommunikationen, die alltäglichen Sorgen, der Blick auf die Probleme in der Kirche und der Respekt vor Ihrem Amt haben uns davon abgelenkt, die Schwächen und Verwerfungen bei uns selbst zu erkennen und zu korrigieren. Wir sind dafür 2009 bestraft worden. Statt eines Triumphes nach der Rücknahme der Exkommunikationen wurden wir gedemütigt und an den Pranger gestellt. Ich beschwere mich nicht darüber: Wen Gott liebt, den züchtigt er. Aber ich hoffe, wir lernen aus unseren Fehlern. Es darf keine falsche Toleranz mehr geben. Wir schauen nicht mehr weg. Wir widersprechen. Wir akzeptieren nicht mehr, wenn politische Sektierer als Parasiten in unsere Bruderschaft eindringen, um hier ihr Süppchen zu kochen, weil sie anderswo nicht geduldet werden. Es kann doch nicht sein, dass Sie wirklich den Anspruch erheben, die Bruderschaft und der Generalobere müssten Ihre nαzι-Ideen teilen und fördern!
Der Weg zum Heil ist die Wahrheit. Die Kirche war da immer großzügig, Sie verlangt nur die Annahme der Dogmen. Sie ist ein Platz der Freiheit. Sie sind kleinlicher. Sie machen alles zu Fragen der absoluten Wahrheit. Nun denn, dann werden Sie eben auch an Ihrem eigenen Maßstab gemessen. Sie werden nicht umhinkommen, die Wahrheit, wie Sie nun einmal ist, zu akzeptieren, und sich von ihrer selbstgebastelten Wahrheitsillusion zu verabschieden. Dieser Weg ist schwierig, denn er führt zu schmerzlichen Einsichten, zum Bruch mit den bisherigen Weggefährten, zu einem Neuanfang, wo eigentlich ein Leben schon abgeschlossen ist. Ich sitze hier und bete und hoffe, dass Sie es dennoch versuchen und verspreche Ihnen, Sie dabei zu begleiten; und dennoch ahne ich, dass Sie es entrüstet von sich weisen, mir misstrauen, mich für dumm, böse oder beides halten und nicht einzusehen vermögen, wie weit entfernt Sie sich von dem halten, was Sie immer so beschwören: der Wahrheit.
Ich stehe hier nicht als jemand, der sich über Sie erhebt. Ich will nicht richten, ich will retten. Mir tut diese Entwicklung unendlich leid, Ihretwegen. Es gibt ja diese Romane, bei deren Lektüre man unentwegt in das Buch hineinsteigen will, um den Protagonisten zu schütteln und zuzurufen, er solle doch endlich aufwachen! und er tut es nicht und die Tragödie nimmt ihren Lauf. „Radetzkymarsch“ ist so ein Fall, von Joseph Roth, es geht um den Untergang der österreichischen Monarchie. Sie sind so ein Fall. Ein tragischer Romanheld, dessen Ausstrahlung, dessen Geist, dessen Aura man sich trotz aller negativen Seiten nicht entziehen kann und will, und dem man permanent zuruft, er solle endlich aufwachen! und der es nicht tut, und so endet der Roman in einer Katastrophe.
Wir haben Peking überflogen, eben Ulan Bator, nun liegen die Weiten von Nowosibirsk vor uns. Im Westen geht die Sonne unter, ein wunderschöner Abend. Ich denke zurück an unsere Gläubigen in Japan und Korea, wie diese Seelen nach der Wahrheit dürsten. Und es kommt mir Ernst Hello in den Sinn. „Die einzige Tragik besteht darin, dass wir keine Heiligen sind.“ Und Sie wollen, dass wir über die Schornsteinlängen der KZ diskutieren. Mein Gott! Und da kommt mir wieder Ihre Kriegsrede in den Sinn. Und wie Sie im Innenhof von Ecône, nach der Bischofsweihe, vor laufender Kamera mit klaren Gesten ein Maschinengewehr in die Hand genommen und den Journalisten zu verstehen gegeben haben, wie man mit den Feinden der Kirche umzugehen habe. Vielleicht hat das der damalige Josef Kardinal Ratzinger auch gesehen. Ich weiss es nicht. Aber ich erinnere mich, dass ein Mitbruder auf der Heimfahrt seine Bedenken äusserte, ob das wohl gut komme mit Bischof Willamson.
Und es kam nicht gut. Der Schaden, den Sie der Bruderschaft und der ganzen Kirche mit Ihren falschen politischen Ideen zugefügt haben, ist immens. Persönlich aber bin ich der Überzeugung, viel schwerwiegender als all Ihre politischen Theorien ist dieser unkatholische Pessimismus, dieser Defaitismus angesichts der Glaubenskrise und des Zusammenbruchs des kirchlichen Lebens. Ein Mitbruder aus den Staaten fasste Ihre „Theologie“ so zusammen: Bischof Williamson sagt, „die Gnade baut auf der Natur auf (das ist noch gut katholisch). Nun aber ist die Natur des (heutigen) Menschen völlig kaputt und korrumpiert. Darum, vergiss die Übernatur und stell zuerst die Natur wieder her.“ Ich habe den Eindruck, Ihr religiöser Pessimismus und Ihr politisches ‚Waiting for Godot‘ kommen von dieser falschen Einschätzung her. Monseigneur, erlauben Sie mir in Erinnerung zu rufen, es gibt eine ‚gratia sanans‘! Es ist eine gefährliche Versuchung, angesichts der Krise zu neuen, natürlichen Mitteln greifen zu wollen und zu meinen, man könne die Welt mit den Mitteln der Welt überwinden. Allein der Glaube überwindet die Welt, sagt der Apostel, und für Papst Pius X. ist der Unglaube und die Unwissenheit das Problem der Stunde – und doch nicht die Juden! Das ist das Faszinierende bei Erzbischof Lefebvre: Er hat an die Liebe geglaubt und daran, dass die ganz gewöhnlichen Mittel der Gnade ausreichen, um das ReichChristi auszubreiten.
Das und vieles mehr fiel mir jetzt wieder ein, als ich Ihre neueste Kriegsprognose las. Vielleicht sollten wir doch „die Spatzen pfeifen lassen“, wie Don Bosco sagte, und uns um Christus und seine Kirche bemühen, statt uns mit Finanzmärkten und chemischen Gaszusammensetzungen zu beschäftigen. Finden Sie nicht auch?
Deshalb schreibe ich Ihnen. „Qui potest capere, capiat.“
God bless! Und ein gutes Neues Jahr!
Ihr im Herrn verbundener
P. Niklaus Pfluger
p.s. 1
What you wrote reminded me of your analysis of BW as a follower of Nietzsche. In my paper on BW I drew parallels between BW and Evola. I just read that Evola was heavily influenced by Nietzsche, which is very interesting. At the heart of this is a non-Christian answer to evils of modernity. Do you know a particular work of Nietzsche that resembles BW?
As for BW’s Catholicism, I have often been tempted to say what you have. But I always limited myself to his written works. The problem with analyzing BW’s writings is that he is not a Thomist and does not use his writings to define his thought. BW uses language in a very post-modern fashion. He uses words to move the listener to a desired action as opposed to defining his ideology. This makes it very difficult to sit down and say “BW believes this or that” because BW seldom succinctly tells you his ultimate ideology.
One easy test that can be applied to BW is to sit down with his seminary letters on one hand, and on the other hand pick any book written by Archbishop Lefebvre. The Archbishop will have constant references to “Our Lord Jesus Christ.” BW will have few, if any. This might sound trite, but I think this is a sign of a real problem. Without judging the BW’s internal forum, there is an appearance that he uses religion as a political tool. His recent and persistent actions support this conclusion.
p.s. 2
Erlauben Sie mir einen Hinweis zu Bischof Williamson. Ich weiß, dass mir kein Urteil zusteht. Betrachten Sie meine Worte lediglich als eine geringe Meinung unter vielen: Der Schaden der Bischof Williamson für die Bruderschaft, für die Kirche, für den Papst angerichtet hat ist enorm. Trotz seiner großen Verdienste für die Sache der Tradition, erscheint es mir persönlich als nicht mehr tragbar an ihm innerhalb der Bruderschaft festzuhalten. Selbst wenn Bischof Williamson sich nach dem Befehl des Generaloberen von diesem rechtsextremen Anwalt distanziert, so wurde doch seine eigentliche innere Gesinnung wieder deutlich. Wenn er nach dieser Katastrophe nach wie vor so eingestellt ist, wenn dies seine innere Haltung ist, dass er einen solchen Anwalt auswählt, wird er diese innere Haltung auch durch den Befehl des Generaloberen nicht ablegen. Im Gegenteil, er gleicht einem Schläfer, der zwar nach außen den Schein waren würde, die innere Haltung ist aber nach wie vor gefährlich für die Sache der Tradition. In der Abwägung der Entscheidung kann man seine bisherigen Verdienste um die Tradition sehen sowie Verdienste, die er für die Tradition in Zukunft noch bringen könnte. Letzteres würde ich praktisch gegen Null ansetzen. Welche Dienste erfüllt Bischof Williamson für die Bruderschaft noch? Wo ist er noch mit welchem Risiko einsetzbar? Was muss erst noch geschehen? Er ist persona non grata. Mit dieser inneren rechtsextremistischen Haltung ist er für mich innerhalb der Bruderschaft untragbar. Die Auswahl des rechtsextremen Anwalts war kein Unfall. Bischof Williamson ist ein intelligenter Mann und er hat die Auswahl ganz gezielt getroffen. Je länger, dass an ihm festgehalten wird, desto mehr zieht er die gesamte Tradition in das rechtsextreme Lager. Dies ist für mich sehr schmerzhaft, wenn man sieht, wie viel Opfer viele bürgerliche Familien bringen, die mit Rechtsextremismus überhaupt nichts zu tun haben – im Gegenteil. Sind sie nicht schon genug durch ihre traditionelle Gesinnung ausgegrenzt? Sie selbst sagen, dass die Familien oft an der Grenze dessen angelangt sind, was sie leisten können. Ich füge Ihnen einen aktuellen Zeitungsbericht von hier bei und kann Ihnen versichern, dass ich als Bürgermeister nach wie vor Angriffen ausgesetzt bin. Nach diesem Zeitungsbericht kann ich schon mit den nächsten völlig unnötigen Abwehrgefechten rechnen. Die Distanzierung des Generalhauses vom h0Ɩ0cαųst wird überhaupt nicht mehr medial wiederholt. Ich bitte das Generalhaus zu überlegen, wie lange man die Gläubigen gerade in Deutschland mit der rechtsextremen Haltung von Bischof Williamson auf eine Stufe stellen möchte. Was ist der Grund, warum man nach wie vor an Bischof Williamson festhält?